Die stille Pandemie: Fast die Hälfte der Deutschen fühlt sich häufig ausgebrannt



Hoher Krankenstand, Sabbaticals und Forderungen nach einer 4-Tage-Woche – die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird aktuell viel diskutiert. Doch sind die Deutschen wirklich zu faul? Eine neue Studie zeichnet ein differenzierteres Bild.
Die deutsche Wirtschaft schwächelt nach wie vor, der Innovationsdruck im internationalen Wettbewerb ist hoch. Gleichzeitig verzeichnen einige Statistiken einen besonders hohen Krankenstand für Deutschland und viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben an, dass sie gerne weniger arbeiten würden. Gerade für die jüngeren Generationen wird die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben immer wichtiger. Vor diesem Hintergrund ist eine Debatte entbrannt, die im Kern um eine Frage kreist: Geht es den Menschen in Deutschland vielleicht etwas zu gut, um sich im Job richtig reinzuhängen?
Eine aktuelle, datengestützte Studie von BuchhaltungsButler zu mentaler Gesundheit zeigt: So einfach ist es nicht. Die Arbeitsmoral deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist besser als ihr aktueller Ruf. Zugleich löst der Job bei vielen erheblichen Stress aus, wobei Frauen davon häufiger betroffen sind als Männer. Die Untersuchung gibt Hinweise darauf, warum sich viele Deutsche trotz scheinbar ausreichender Auszeiten und Urlaube ausgebrannt fühlen.
Was wurde untersucht?
In Zusammenarbeit mit DataPulse Research hat BuchhaltungsButler im Oktober 2024 eine repräsentative Stichprobe von mehr als 1.000 deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu ihrer mentalen Gesundheit mit Bezug auf ihre Arbeit befragt. Alle Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt der Umfrage mindestens 18 Jahre alt und Vollzeit angestellt bei Unternehmen, die eine große Bandbreite an unterschiedlichen Unternehmensgrößen, Jahresumsätzen und Wirtschaftsbereichen abdecken. Die Unternehmen waren in Einzel- und Großhandel, Produktion, Gesundheitswesen, Bauwesen, Finanzbranche, Dienstleistungen, IT, Bildung, Landwirtschaft und Medien tätig.
Ein Drittel der Deutschen arbeitet nicht „9 to 5“
Eine Person von drei deutschen Vollzeitarbeitenden macht nicht nur „Schicht nach Dienst“. 26 Prozent der Befragten gaben an, täglich 9 bis 12 Stunden zu arbeiten, 8 Prozent sogar mehr als 12 Stunden. Dabei gab es keine großen Geschlechterunterschiede und kaum Altersunterschiede, mit einer Ausnahme: Die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen – dort war der Anteil derjenigen, die 9 bis 12 oder mehr als 12 Stunden arbeiten, mit zusammen 25 Prozent besonders niedrig. In den Branchen Gastgewerbe, Reisen und Verpflegungsdienstleistungen lag er mit zusammen 50 Prozent besonders hoch.
Fast die Hälfte der Arbeitnehmenden fühlt sich häufig ausgebrannt
23 Prozent der Befragten gaben an, sehr oft oder täglich geistig erschöpft oder ausgebrannt zu sein durch die Arbeit; für weitere 21 Prozent trifft dies immerhin die Hälfte der Zeit zu – immer noch ein hoher Wert, bedenkt man, dass das Gefühl ausgebrannt zu sein auf eine deutliche und längerfristige Überforderung hindeutet. Weitere 46 Prozent haben dieses Gefühl immerhin gelegentlich. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen tendenziell stärker davon betroffen sind (oder eher bereit sind, dieses zuzugeben).
Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Frage, wie häufig die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter stressbezogenen Symptomen wie Angst, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit leiden. Für 30 Prozent trifft dies mehrfach pro Woche oder täglich zu, für weitere 30 Prozent mehrmals monatlich. Auch hier geben Frauen dies häufiger an als Männer.
Das häufig auftretende Gefühl, ausgebrannt zu sein, ist kein rein deutsches Phänomen. In einer Studie des US-Versicherers Aflac gaben 22 Prozent der Befragten an, ein hohes oder sehr hohes Level an Burnout zu haben, weitere 35 Prozent immerhin ein moderates. Die Befragung wurde 2023 durchgeführt.
Zeit zum Erholen wäre für viele da
Viele Menschen in Deutschland fühlen sich also durch den Job belastet. Die Ergebnisse legen nahe, dass dies nicht hauptsächlich an zu wenig (potentieller) Zeit zur Erholung liegt. Fast die Hälfte gibt an, pro Jahr vier Wochen oder mehr Urlaub zu machen, ein weiteres Viertel liegt bei drei Wochen.
Auch um den Schlaf ist es, zumindest was die Dauer angeht, nicht ganz schlecht bestellt. Mehr als die Hälfte schläft 6 bis 7 Stunden pro Nacht, weitere 12 Prozent 8 bis 9 Stunden. Häufig empfohlen werden 7 bis 8 Stunden pro Nacht, wobei die optimale Schlafdauer individuell unterschiedlich ist. Immerhin liegt ein Drittel deutlich unter dieser Empfehlung.
Das Problem: Job und Privatleben verschwimmen zu sehr
Das größere Problem scheint darin zu liegen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch nach Feierabend noch gedanklich bei der Arbeit sind. Fast ein Drittel spürt sehr oft oder täglich das Bedürfnis, beruflich immer erreichbar zu sein, weitere 19 Prozent immerhin die Hälfte der Zeit.
Ein Viertel der befragten Personen gibt an, sehr oft oder täglich noch am Abend berufliche Nachrichten zu überprüfen. Weitere 47 % tun dies wenigstens gelegentlich. Die restlichen 28 % geben an, nie außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein.
Wenn der Feierabend eigentlich Freizeit und Privatleben bedeuten sollte, dann gilt das erst Recht für Urlaubszeit. Doch auch hier spielt der Job für viele Menschen eine Rolle. Immerhin geben 24 Prozent an, die Hälfte der Zeit oder öfter im Urlaub Arbeitsaufgaben zu erledigen. Ein weiteres Drittel tut dies gelegentlich.
Nur ein Viertel bewertet die Work-Life-Balance schlecht
Interessant: Obwohl viele der Befragten angeben, oft durch die Arbeit gestresst zu sein und sogar auch im Feierabend oder im Urlaub zu arbeiten, schätzt die Hälfte ihre Work-Life-Balance als durchschnittlich ein und ein Viertel bezeichnet sie als gut oder exzellent. Auch hier zeigt sich ein gewisser Unterschied zwischen den Geschlechtern: Männer schätzen ihre Work-Life-Balance positiver ein.
Ob eine “durchschnittliche” Work-Life-Balance zufriedenstellend bzw. als gesund empfunden wird, lässt sich aufgrund der Daten nicht sagen. Dies ist denkbar. Doch möglich ist auch, dass Menschen es heute als normal empfinden, dass Jobbelange in das Privatleben reinragen und dies nicht als ungewöhnlich schlechte Work-Life-Balance wahrnehmen.
Der Job spielt für viele Deutsche eine zentrale Rolle - und oft eine belastende
Zusammengenommen ergibt sich ein differenziertes Bild: Ein gewisser Anteil unter den deutschen Vollzeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern scheint Job und Privatleben gut miteinander vereinbaren zu können und empfindet keinen oder nur selten Stress, der durch die Arbeit ausgelöst wird. Doch etwa die Hälfte ist durch den Job relativ oft belastet, ein guter Teil davon sogar sehr häufig. Das, obwohl im Schnitt recht viel Urlaub gemacht werden kann und einigermaßen viel Schlaf zur Erholung zur Verfügung steht.
Woher kommt der Stress dann? Die Ergebnisse zeigen, dass viele Deutsche auch im Feierabend und im Urlaub arbeiten - also in Zeiten, die eigentlich dem Abschalten und Energietanken dienen sollten. Die Tatsache, dass Frauen häufiger angeben, ausgebrannt zu sein und Stresssymptome zu erleben, deutet darauf hin, dass die mangelnde Vereinbarkeit von Arbeit und Familienleben dabei ein wichtiger Faktor ist. Denn nach wie vor ist es so, dass Frauen mehr Care- und Haushaltsarbeit übernehmen als Männer, auch wenn beide Vollzeit berufstätig sind.
Wie faul sind die Deutschen also?
Die Studie von BuchhaltungsButler macht eines klar: Die Leistungsbereitschaft deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer pauschal zu verurteilen, greift deutlich zu kurz. Immerhin ein Drittel der Befragten arbeitet mehr als die Regelzeit und für einen bedeutenden Teil hat die Arbeit negative Auswirkungen auf ihre mentale Gesundheit. „Für viele Deutsche liegt es nicht an zu wenig Urlaub oder Schlaf, dass sie sich ausgebrannt fühlen. Das Problem ist oft die mangelnde Trennung von Arbeit und Privatleben“, erklärt Maxin Schneider, Verantwortliche für Personalentwicklung bei BuchhaltungsButler. „Das erschwert es vielen Menschen, sich in der Freizeit angemessen zu erholen.“
Diese Ergebnisse sprechen nicht dafür, dass die Deutschen unmotiviert oder “faul” sind. Eher bestätigen sie ein Problem, das in Deutschland auch immer wieder Gegenstand von Debatten ist: Moderne Lebensentwürfe sehen für viele Menschen - Frauen und Männer - vor, sich beruflich zu entfalten und finanziell selbstständig zu sein, doch die Arbeitswelt ist allzu oft noch auf klassische Einfachverdiener-Familien ausgerichtet: Der Mann macht Karriere und arbeitet dafür auch im Feierabend oder im Urlaub, wenn es sein muss. Die Frau hält ihm den Rücken frei, indem sie sich um Kinder und Haushalt kümmert. Wenn beide Vollzeit arbeiten wollen, geht das Modell nicht auf.
Dabei ist es nicht nur das Karrierestreben, das vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Gefühl gibt, ständig erreichbar sein zu müssen. Die Digitalisierung der Welt allgemein und der Arbeitswelt im Speziellen hat dazu geführt, dass wir qua Technologie auch immer leicht erreichbar sein können. Durch E-Mail und Handy, Kollaborationsplattformen wie Microsoft Teams oder Slack und cloudbasierte Softwarelösungen ist es zumindest in Schreibtischjobs einfach wie nie, jederzeit und von überall zu arbeiten.
„Unternehmen sind gefordert, neue Arbeitszeitmodelle, aber vor allem auch neue Arbeitskulturen zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht werden“, sagt Schneider. Dies sei Voraussetzung für ihr mentales Wohlbefinden und damit für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die auf gesunde, zufriedene Mitarbeitende angewiesen sind, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.